24.01.2009

Als wir mal Kondome kaufen wollten...

Eine Kurzgeschichte von Stefan Kirschhöfer

"Kommst du jetzt mit oder nicht?"
"Ach, ich weiß nicht..."
"Mensch, ist doch das normalste von der Welt."
"Hm..."
"Bist du feige?"
"Nee, natürlich nicht."
"Dann komm' jetzt."
"Wenn du vorgehst..."
"Hmpf. Doch feige."

Zögernd folgte Tom, der es nicht auf sich sitzen lassen wollte, von Michael als Feigling bezeichnet zu werden, seinem besten Freund in den Drogeriemarkt. Es war einer von der typischen Sorte. Wie ein Supermarkt, nur wesentlich kleiner, mit viel zu engen Gängen, wo kaum zwei Leute nebeneinander herpassten. Außerdem gab es natürlich ein viel kleineres Sortiment, weniger Kunden und weniger Angestellte. Aber jeder kennt wohl diese Geschäfte. Und jeder junge Mann wird wohl schonmal in einer solchen Situation gewesen sein, in die sich die beiden 12jährigen nun begaben.

Die Kassiererin, die sie hereinkommen sah, lächelte ihnen freundlich zu, dann verschwanden sie aus ihrem Blickfeld und gingen, nein, eigentlich schlichen sie eher, die Gänge entlang. Prüfend ließ Michael seinen Blick die Regale entlanggleiten, an denen sie vorbeikamen. Haarshampoo, Duschgel, Seife, Toilettenpapier...
"Wo sind die Dinger bloß?" zischte er.
"Ich hab keine Ahnung", erwiderte Tom mit zitternder Stimme. Er hielt das ganze immer noch für keine gute Idee, aber was wollte man machen. Wenn sie das hier nicht schafften, wären sie bei Jens und den anderen unten durch und würden den Spott der Gruppe über sich ergehen lassen müssen - von der Nichtaufnahme ganz zu schweigen. Er seufzte innerlich. Warum musste das Leben immer so kompliziert sein? Eigentlich waren sie ja selbst schuld. Was wollte sie auch zu dieser Gruppe gehören? Erneut seufzte er, als ihm die scheinbar tausend Dinge einfielen, weshalb er Teil der Gruppe sein und sich außerdem ihren Respekt verdienen wollte. Und eigentlich konnte man sich schwerere Mutproben vorstellen als diese. Sein Vater hatte ihm mal erzählt, dass er in seiner Schulzeit Zigaretten oder Bier stehlen, einen Joint rauchen oder einen breiten Fluss hin und zurück durchschwimmen sollte, um verschiedenen, scheinbar coolen Gruppen anzuhören. Eindringlich hatte er Tom davor gewarnt, solche Dinge zu tun. Und dagegen war das hier ja wirklich harmlos, wenn es auch peinlich und unangenehm war. Aber er wollte zu dieser Gruppe gehören, das stand fest.

Sie hatten das Ende des ersten Ganges erreicht, ohne das Gesuchte gefunden zu haben. Auch im zweiten Gang fanden sie nicht das Gewünschte - Kekse und Limonade halfen ihnen nicht weiter. Sie gingen zurück, um nicht von der Kassiererin gesehen zu werden, wenn sie in den dritten Gang einbogen, in dem das Gewünschte zu finden sein musste, denn es war der letzte.

Sie betraten vorsichtig den Gang, während die Türglocke das Eintreten eines weiteren Kunden in den ansonsten, abgesehen von Tom, Michael und der Kassiererin, leeren Laden mitteilte. Eine Stimme sagte etwas und danach war ein Kichern zu vernehmen.
"Mädchen" zischte Tom seinem Freund zu, der ebenfalls leicht zusammengezuckt war. "Wir sollten uns beeilen".
"Du hast Recht, aber die werden doch eh da vorne im ersten Gang bleiben, beim Shampoo und diesen anderen Körperpflegesachen."
Sie gingen weiter in den Gang hinein und sahen sich um. Erst sah es so aus, als gäbe es das gewünschte Produkt wohl doch nicht in diesem Laden, was Tom halb verzweifelt, halb erleichtert feststellte. Doch dann winkte Michael ihn heran. "Schau mal hier, das haben wir doch gesucht." Er stand vor einem Teil des Regals, an dem mehrere Sorten flacher, quaderförmiger Packungen hingen. Tom ging schnell zu ihm hinüber, sich ein wenig ängstlich umblickend. "Was es da nicht alles gibt", staunte Michael. Er schien immer souveran, aber jetzt war auch Michael aufgeregt. "Hier, die sollten wir doch holen. 12er Pack. Mit Erdbeergeschmack." Er hielt es Tom triumphierend entgegen, der dessen Hand panisch nach unten drückte. "Nicht so laut", sagte er leise. Sie hörten ein lautes Kichern hinter sich, fuhren herum und sahen, dass die beiden Mädchen, die eben den Laden betreten hatte, um die Ecke bogen. Die beiden Jungs erstarrten und Michael ließ die Kondompackung fallen. "Hallo", sagte das eine der beiden Mädchen, die andere winkte. "Ähm, hi, Andrea. Hi, Sabine", sagte Michael. Tom bekam kein Wort heraus. Andrea und Sabine gingen beide in ihre Klasse, waren jedoch ein Jahr älter, da sie einmal sitzengeblieben waren. Tom war seit Anfang des Schuljahres total in Andrea verliebt, seit sie mit ihm ihr Pausenbrot geteilt hatte, weil er seins zuhause vergessen hatte. Sie hatte ihn dabei nett angelächelt, seit dem war es um ihn geschehen. Und Michael schwärmte ihm immer von Sabine vor, wie sie ihn im Bus auf dem Heimweg manchmal ansähe und überhaupt sei sie ja das tollste Mädchen der Welt.

"Was macht ihr denn hier?" fragte Sabine, als die Jungs nichts weiter sagten. "Äh, nichts", sagte Michael, nun auch sichtlich nervös und versuchte, die heruntergefallene Kondompackung mit dem Fuß unter das Regal zu schieben. Sabine kam herüber und hob sie auf. "Du hast da was fallen gelassen", sagte sie lächelnd und hob die Packung auf. Sie warf einen Blick darauf, zwinkerte ihm zu und winkte Andrea herbei. Tom wäre am liebten im Boden versunken, so peinlich war ihm das. "Ihr wollte Kondome kaufen?" fragte Andrea. "Wollte nur mal gucken" nuschelte Michael. Die Mädchen kicherten, was die Stimmung der Jungs nicht gerade verbesserte. "W-was sucht ihr denn eigentlich hier?" fasste sich Tom ein Herz. Sabine lächelte, drückte Michael die Kondompackung in die Hand, ging ein Stück weiter den Gang entlang, nahm zwei weiße Packungen aus dem Regal. Eine gab sie Andrea und die andere drücke sie Tom in die Hand. "Tampons" las der vor. Er hatte so eine Packung im Badezimmer gesehen und wusste, dass sie seine Mutter gehörte, hatte jedoch keinen Schimmer, wozu die Dinger gut sein sollten. "Genau", sagte Sabine. "Tampons." Die beiden Mädchen lächelten und schienen die Situation überhaupt nicht peinlich zu finden, was Tom verwunderte. Sie machten aber auch nicht den Eindruck, als würden sie sich über die Jungs lustig machen. "Also, bis dann", sagte Andrea, wobei Tom den Eindruck hatte, sie würde ausschließlich mit ihm sprechen. Er spürte wie er rot wurde. Michael brachte keinen Ton heraus. Die Mädchen entfernten sich lachend in Richtung der Kasse.
"W-wir können uns in der Schule nicht mehr sehen lassen", presste Michael hervor. "Mein Gott, war mir das peinlich."
Tom hatte den Eindruck, als sei Michael nun der Feigling. Er selbst spürte, dass er gar nicht mehr so viel Angst hatte. "Ich glaube nicht, dass das jetzt so schlimm war..." "NICHT SCHLIMM?" rief Michael, viel zu laut. Ein Lachen war von der Kasse zu hören, dann verkündete die Türglocke, dass die Mädchen das Geschäft verlassen hatten. "Darüber müssen wir uns später Gedanken machen", sagte Tom. "Jetzt lass uns das hier erledigen, ich will hier raus." Er nahm Michael die Kondompackung aus der Hand und ging mit festen Schritten in Richtung Kasse. Als er die Kondome auf das Warenband legte, stieg doch wieder Panik in ihm auf. Denn an der Kasse saß natürlich die Kassiererin, die sie vorhin schon angelächelt hatte. "Hallo", sagte die Kassierin. Tom sah auf den Boden, während sie den Scanner über den Barcode der Packung zog. "4,60" sagte sie freundlich. Tom legte einen fünf Euroschein auf das Band und wartete mit rasendem Puls bis sie ihm das Wechselgeld in die Hand drückte. Er nahm es, schob die Packung in seine Tasche und rannte aus dem Laden, Michael hinterher. Sie liefen um die nächste Hausecke und drückten sich keuchend an die Wand. "Mann", sagte Michael, und ein gewisser Stolz schwang in seiner Stimme mit, "das hätte ich ja jetzt nicht von dir gedacht..."
"Ich auch nicht", sagte eine helle Stimme plötzlich neben ihnen. Sie zucken zusammen und blickten nach rechts. Kaugummi kauend standen dort Sabine und Andrea. Sabine kam auf die beiden zu, nahm die beiden an je einer Hand und zog sie in Richtung einer nahegelegenen Bank, während Andrea ihnen folgte. "Ich glaube", sagte Sabine, "wir müssen uns mal von Frau zu Mann unterhalten."

ENDE

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