04.11.2009

Buchbesprechung: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land

Ich habe selten so lange für ein Buch gebraucht. Und ebenso selten war ich zum einen froh, es endlich durchzuhaben und gleichzeitig froh, es überhaupt gelesen zu haben.

Der Turm von Uwe Tellkamp ist ein fast 1000 Seiten starkes Werk, durch das man sich zeitweise durchquält, das aber insgesamt doch ein Lesegenuss ist, auch wenn sich eine wirklich durchgängige Handlung nur schwer verfolgen lässt, zu groß sind oftmals die Themensprünge, was auch daran liegen mag, dass das Buch aus Sicht dreier recht verschiedener Hauptdarsteller erzählt wird.

Worum geht es? Im "Turm" beschreibt Uwe Tellkamp die letzten sieben Jahr der Deutschen Demokratischen Republik aus Sicht des Dresdner Bürgertums, aus Sicht vor allem von Christian Hoffmann (der zunächst Schüler und später Unteroffizier der NVA ist). Die beiden weiteren Charaktere sind Richard Hoffmann, Christians Vater und Meno Rohde, Christians Onkel.

Am Anfang liest sich das Buch sehr schleppend, der Autor ergeht sich in ausschweifenden Schilderungen von Orten und Ereignissen, die Sprache ist meist sehr hochgestochen, manche Sätze sind durchaus schonmal eine halbe Seite lang. Erst nach und nach wird dem geduldigen Leser klar, wie alles zusammenhängt. Die Bewohner des beschriebenen Milieus sind Angehörige einer Schicht, die es im Arbeiter-und-Bauern-Staat eigentlich gar nicht hätte geben dürfte. Aber auch der realexistierende Sozialismus braucht einige schlaue Köpfe. Richard Hoffmann ist Chirug, Meno Rohde Zoologe und Angestellter eines Verlages, Christian möchte Medizin studieren. Auch ansonsten "wimmelt" es von Ärzten, Anwälten und anderen Intellektuellen, die anderen Gesellschaftsschichten werden nur am Rande beschrieben.
Im Verlaufe des Buches entwickelt sich die Handlung fort, die meist streng getrennt ist, da sich die drei Hauptcharaktere kaum noch begegnen. Oftmals finden zwischen den einzelen Kapiteln wilde Themensprünge statt, das ganze erscheint teils mehr als ein Kaleidoskop aneinandergereihter Szenen als als zusammenhängender Roman, noch dadurch verstärkt, dass die vielen Dutzend Charaktere, die Tellkamp erfindet, oft nur einmal oder ansonsten in längeren Abständen erscheinen.
Auch bleiben die meisten Charaktere recht blass, oft scheint der Autor die Beschreibung der Verhältnisse in der späten DDR (die sehr gut gelungen ist, wenn auch oft klischeebehaftet und in ihrer geballten Masse unwirklich erscheinend) in den Vordergrund stellen zu wollen.

Ich habe selbst nicht in der DDR gelebt und kann daher nicht erschöpfend bewerten, ob die Verhältnisse wirklich so waren, wie sie Tellkamp (dessen "alter ego" eindeutig Christian Hoffmann zu sein scheint) beschreibt. Aber die Schilderungen sind sehr glaubwürdig und teils schockierend. Daher denke ich, dass viele ehemalige Bürgerinnen und Bürger der DDR bei Tellkamps Erzählungen wissend mit dem Kopf nicken werden - vorausgesetzt natürlich, sie haben das Buch auch gelesen. Die Auflagen- und Verkauszahlen sind für ein Buch dieses Umfangs und dieser Thematik erstaunlich, es bleibt aber zu befürchten, dass das Buch oft un- oder lediglich angelesen im Bücherschrank steht. Zwischenzeitlich war ich auf Drauf und Dran die Lektüre des Buches abzubrechen, habe insgesamt über vier Monate gebraucht. Aber: Die Stunden, die ich für die Erlebnisse von Meno, Richard, Christian und den anderen Personen geopfert habe, haben sich gelohnt.

"Der Turm" ist keine leichte Lektüre, man muss sich darauf einstellen, manchen Satz vielleicht zwei-, dreimal zu lesen, bevor man ihn erfasst hat. Einige Passagen sind manchmal auch geeignet, sie zu überspringen (insbesondere einige Tagebucheinträge von Meno, bei denen man sich fragt, was der Autor damit sagen will). Mittlerweile kann ich auch verstehen, wieso die Hörbuchfassung des Romans so kurz ist.
Für den ambitionierten, etwas überspitzt gesagt: schmerzfreien Leser ist "Der Turm" eine echte Empfehlung. Menschen, die nur hin und wieder leichte Lektüre "zu sich nehmen" werden von Stil und Umfang des Romans wohl eher abgeschreckt werden.

Zum Schluß sei noch gesagt, dass der Roman ungewöhnlich endet: Mit einem Doppelpunkt.
In einem Interview mit Spiegel Online ließ der Autor außerdem vor gut einem Jahr verlauten, der Roman sei Teil eines größeren Projekts. Man darf also gespannt sein.

"Der Turm" bei Amazon.de
"Der Turm" bei Wikipedia
Uwe Tellkamp bei Wikipedia

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen