29.06.2010

WM-Tagebuch South Africa 2010: Gerechtigkeit nach 44 Jahren

Ja, ich weiß: Eine Fehlentscheidung mit einer weiteren Fehlentscheidung für den zuvor Benachteiligten ausgleichen zu wollen, das ist nicht gut. Das weiß ich als (Basketball-)Schiedsrichter selbst.

Dennoch: 44 Jahre nach dem zu Unrecht gegebenen Tor von Geoff Hurst im WM-Finale 1966 ereilte die Engländer nun eine umgekehrte Fehlentscheidung: Ein eindeutiges Tor von Frank Lampard im Achtelfinale der WM 2010 gegen Deutschland wurde nicht gegeben. Und das in einer Drangphase der Engländer, die zuvor den 1:2-Anschlußtreffer erzielt hatten und die kurzzeitig ungeordnete deutsche Hintermannschaft unter Druck setzte.
Wir wie alle wissen, gewann Deutschland das Spiel am Ende mit 4:1 - hochverdient, wohlgemerkt, gegen 70 Minuten lang eigentlich chancenlose Briten - und zieht ins WM-Viertelfinale ein.
Sekunden nach der Entscheidung von Schiedsrichter Larrionda, das Tor nicht zu geben, hatte wohl nicht nur ich die Bilder vom "Wembley-Tor" vor Augen. Nach einer kurzen Schockphase, in der ich froh war, dass das Tor nicht gegeben war, machte sich - ich kann es nicht verhehlen - eine gewisse Genugtuung breit. Irgendwie doch auch verständlich. Sehr erstaunt war ich dann über die Reaktionen der Presse und der englischen Spieler: Keine Schmähungen der deutschen Mannschaft, die mal wieder Glück gehabt hatte. Glück hatte die deutsche Mannschaft in eben dieser Situation. Nach der Pause nahm sie das Heft aber wieder in die Hand und erzielte durch den unglaublich starken Thomas Müller zwei weitere Tore, die keinen Zweifel am verdienten Sieg über das Mutterland des Fußballs aufkommen ließen.

Bis auf die kurze Phase, in der England am Drücker war, war die Mannschaft um Bastian Schweinsteiger spielbestimmend. Die Engländer - das soll die Leistung allerdings nicht schmälern - machten es ihnen aber auch zu einfach. So einfach, dass Manuel Neuer mit einem weiten Abschlag, den Klose zum 1:0 verwertete, einen Assist verbuchen konnte.

Im Viertelfinale trifft die deutsche Mannschaft, die bei diesem Turnier teils großartigen Fußball bietet, in der Neuauflage von 2006 auf das maradonnasche Argentinien.

Argentinien setzte sich mit 3:1 gegen Mexiko durch. Aber auch hier gab es eine krasse Fehlentscheidung: Dem 1:0 durch Carlos Tevez ging eine deutliche Abseitsstellung des Argentiniers voraus, dennoch zählte das Tor. Der Linienrichter hatte den Schiedsrichter darauf hingewiesen, er habe die Szene auf der Stadionleinwand in der Wiederholung gesehen. Laut Anweisung müssen die Schiedsrichter jedoch derartige Bilder bei der Entscheidung außer Acht lassen.

Dies brachte wieder die Kritiker auf den Plan, die regelmäßig Videobeweise oder einen Chip im Ball fordern. Die Fifa wies die Forderungen zunächst wie gewohnt zurück, hat aber jetzt in der Person ihres Chefs Blatter doch eine derartige Diskussion angestoßen. Meiner Meinung nach auch zurecht. Es kann sicherlich nicht darauf hinauslaufen, dass in Zukunft über jede Entscheidung der Unparteiischen der Videobeweis geführt wird, aber ein Chip im Ball oder eine Regelung ähnlich der im Feldhockey, wo Mannschaften für bestimmte Situationen die bildliche Überprüfung forden können, sollte für die Weltsportart Fußball, bei der es um soviel Geld geht (oder die Teilnahme an einer WM, siehe das Handspiel von Frankreichs Thierry Henry in der Relegation gegen Irland), denkbar sein. Romantik hin oder her.

Bemerkenswert bei dieser WM ist das Auftreten der südamerikanischen Mannschaften. Gab es 2006 noch ein rein europäisches Halbfinale, ist gleiches in diesem Jahr für Südamerika möglich. Brasilien (3:0 gegen Chile, das einzige Team dieses Kontinents, das damit bisher ausgeschieden ist), Argentinien und Paraguay (heute 5:3 nach Elfmeterschießen gegen Japan) und Uruguay (2:1 gegen Südkorea) stehen im Viertelfinale und treffen jeweils auf Gegner von anderen Kontinenten, wobei Ghana den einzigen afrikanischen Vertreter stellt. Das ist sicherlich Balsam für den Kontinent.

Das Spiel Brasiliens war in der Vorrunde sehr kontrolliert und ergebnisorientiert. Im Achtelfinale gegen Chile sah es zunächst so aus, als könnten die Chilenen durchaus eine Chance haben gegen den Rekordweltmeister. In der zweiten Halbzeit ließen die Mannen von Carlos Dunga dann aber die früher so gewohnte Klasse aufblitzen und sorgten für klare Verhältnisse. Mit ihnen ist sicherlich zu rechnen. Gegner Holland wird sich im Vergleich zum Spiel gegen die Slowakei (die sie jedoch auch kaum forderten) deutlich steigern müssen, um eine Chance zu haben.

Zum Abschluß des Achtelfinals kommt es heute Abend zum iberischen Nachbarschaftsduell zwischen Spanien und Portugal.

Sie macht mittlerweile richtig Spaß diese WM, auch dank der deutschen Mannschaft. Mittwoch und Donnerstag sind zwei Ruhetage und dann beginnt die wirklich heiße Phase der 19. Fußball-Weltmeisterschaft.

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